12 März 2009

Muß das denn sein?

Auf Ahoi Polloi wurde gestern sehr zeitnah zum aktuellen Geschehen eine Karikatur veröffentlicht, die, schaut man sich die Kommentare an, nicht bei allen Lesern auf Gegenliebe stieß. Die Karikatur zeigt einen Amokläufer, der seinen Opfern noch letzte Worte, aber nur bis zu einer Länge von 140 Zeichen einräumt. Angespielt wird hier natürlich auf die heutzutage so arg gehypeten Microbloggingdienste, bei denen der zu übermitteln mögliche Text auf 140 Zeichen beschränkt ist. Geschmacklos? Möglicherweise.
Die Karikatur nutzt jedoch nicht platt das aktuelle tragische Geschehen, um den 'Kommunikationskanal' Microblogging allgemein anzugehen, vielmehr kritisiert sie den Umgang damit und somit die teils absurden Pressereaktionen auf den gestrigen Amoklauf:
Kaum, daß die Nachrichtensender keine neue Leiche mehr präsentieren konnten, schon wurde über die Reaktionen und die 'Anteilnahme' im Netz berichtet. Was sagt die Twitter-Gemeinde dazu? (Wen interessiert das eigentlich?) Ach, besser noch, man nutzt den Kanal gleich selbst und berichtet zwischen Wurstbroten und blutigen Leichen live ins Netz.
Die alte Presse spielte selbst Gaffer, twitterte und/oder interviewte noch schnell anwesende Betroffene ('Das Ding' ließ wohl eine Telefonschalte mit einem Schüler der betroffenen Schule live durch den Äther gehen).
Bei mir wurden Erinnerungen an Gladbeck wach. Hatte denn niemand etwas dazugelernt? Nein, noch schlimmer: Man bedient sich heute der neuen Medien, um die alten Fehler zu wiederholen.
Und in der Kürze der Zeit glaubt man auch unhinterfragt schnell jeder Ente, solange sie nur glaubwürdig ist und der allgemeinen Vorstellung entspricht: Ankündigung der Bluttat? Internetforum... super! Killerspiele? Immer, gerne! Gafferreporter vor Ort? Eh klar!
Gib uns Emotionen, gib uns Tränen, gib uns Schreckensszenarien, wir basteln Meldungen daraus.
Eines fehlte aber: Die letzten Worte der Opfer, schön verpackt in leicht verdauliche 140 Zeichen lange Mitteilungen, die man im Kampf um die Quoten auch noch ausschlachten kann. Und hier trifft hoi polloi mit seiner Karikatur den Nagel auf den Kopf.
Soll man sich darüber amüsieren? Darüber lachen? Wohl nicht. Es reicht aber, wenn dem ein oder anderen das Lachen im Halse stecken bleibt, der Twitter-Gaffer oder Sensationsmedienkonsument vielleicht überdenkt, was er da tut: Vor Ort mit dabei? Aufsaugen, was auch immer die Gaffermedien einem vor die Füße spülen? Wahrheitsgehalt egal, Pietät auf Sparflamme?
Die Karikatur auf Ahoi Polloi ist auch eine Rezeption des Geschehens, vielmehr aber eine Rezeption der Rezeption des Geschehens. Darf eine Karikatur das? Muß das denn sein? Ja, es muß sein. Leider.

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